Unsere Tage bei der re:publica 13

Unsere Tage bei der re:publica 13

Besser spät als nie ... die re:publica 13 ist zwar schon eine Weile vorbei, deswegen aber noch nicht vergessen. Nach drei anstrengenden Tagen hatte uns der Arbeitsalltag allzu schnell wieder im Griff, aber vergessen haben wir die Zeit dort natürlich nicht. Und berichten - mit etwas Abstand, der schadet ja nie - über unsere Erfahrungen beim Klassentreffen der Internetten. An der Tastatur: Jürgen und Martina.


Am ersten Tag war mein persönliches re:publica-Programm noch recht überschaubar. Erst um 12 Uhr ging es mit der ersten Session los. Und das war auch gut so, denn diesesmal dauerte es noch länger als letztes Jahr, bis ich überhaupt hineinkam. Über eine halbe Stunde stand ich in einer der beiden Warteschlangen. Da ist noch Spielraum für Optimierung. Warum macht man bspw. nicht soviele Schlangen, wie es auch Ticketschalter gibt (die alphabetisch sortiert waren) und kennzeichnet diese entsprechend? Dann kann sich jeder gleich in seine Schlange einreihen und die einzelne Schlange ist auch kürzer (ein unschätzbarer psychologischer Vorteil ;-)). Außerdem wären gerade am ersten Tag, wo sich naturgemäß jeder erstmalig registrieren muss,  ein oder zwei zusätzliche Schalter zu Beginn sicher nicht verkehrt.

Mein Einstieg in dei re:publica verlief dagegen sehr entspannt: Während der Kollege, der einer meiner Übernachtungsgäste war, in der Schlange anstand, konnte ich zusammen mit meinem zweiten Übernachtungsgast, einem Mit-webgrrl, am Wartereptil vorbeimarschieren und direkt zum VIP-Schalter gehen; wir beide waren nämlich in diesem Jahr sogenannte Speaker, also Vortragende. Dazu später mehr. Unser Check-In dauerte jedenfalls knapp 5 Minuten und wir konnten schon einmal in Richtung des sogenannten “Affenfelsen” gehen, einem großen Sitzplatzangebot in der Mitte der Eingangshalle mit Steckdosen und Überblick über die vorbeigehenden Teilnehmer. Zum Thema Schlange steht übrigens im re:publica Reader Vol. 1:


“1970 eingecheckte Besucher und drei Stunden später erklärt Frida Peyer vom Counter für die Nachnamen A-F, woran es lag: Chaos in den analogen Karteikästen mit Besucherpässen. “Das muss noch optimiert werden”, sagt Peyer. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Leute lieber dem angeborenen Herdentrieb gefolgt ist und sich an einer einzelnen Schlange angestellt hat, statt sich nach Buchstaben getrennt aufzuteilen.”


Ein Hinweis draußen, dass es drei Schalter gibt, wäre allerdings nett gewesen, so sah es nämlich für alle Neuankömmlinge aus, als gäbe es nur diese eine Möglichkeit.

Aber es gab auch Sachen, die gegenüber dem Vorjahr deutlich verbessert wurden. So war das WLAN diesmal fast ständig verfügbar und die Zahl der Steckdosen am “Affenfelsen” hatte auch deutlich zugenommen.


Nun aber zu meinem persönlichen re:publica-Programm. Den Auftakt machte die Session “Innovationsbeschleuniger gesucht! – Wie wär‘s mit Barrierefreiheit?”. Tomas Caspers beschrieb darin, wie so manches Arbeitsmittel, das wir heute ganz selbstverständlich nutzen, seinen Ursprung  als Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung hatte. Das war wirklich sehr interessant. Und auch im zweiten Vortrag ging es um Geschichte. Horst Zuse (der Sohn des Erfinders des Computers Konrad Zuse) referierte über “Die Geschichte des Computers”. Ein unterhaltsamer und kurzweiliger Vortrag, dank der einen oder anderen eingestreuten Anekdote. Schade, dass die Videos in dem Vortragsmanuskript nicht funktionierten - irgendwie hatte der verwendete Mac-Rechner da ein Problem (das sollte sich übrigens noch bei etlichen Sessions mit anderen Macs wiederholen).


Weiter ging es mit einem ernsteren Thema “Algorithmen-Ethik”. Joerg Blumtritt, Martina Pickhardt und Stephan Noller referierten über Algorithmen, die z.B. zur Berechnung zukünftiger Interessen und geheimer Wünsche verwendet  werden, wie bei amazon, predictive search bei Google oder predictive Targeting in der Werbung. Oder wie Computer völlig eigenständig entscheiden und handlen, wie beim Algo-Trading an der Börse. Die damit verbundenen Risiken wurden beleuchtet und nach der Veranstaltung verblieb nicht nur ein unangenehmes Gefühl zurück, dass da etwas unrund läuft, sonder auch die Gewissheit, dass dieses Thema uns noch länger verfolgen wird.


Den Tag wollte ich dann mit der Diskussion “Finanzblogs: Intellektuelle Elite oder verständliches Massenmedium?” (Tiolnehmer: Thomas Knüwer, Franziska Bluhm, Ulrich Hegge, Dirk Elsner, Jeannine Michaelsen) ausklingen lassen. Leider war diese Session ein Totalausfall (zum Glück der einzige an den drei Tagen). Die Diskussion war ziemlich flach und weitgehend uninteressant. Das lag nicht zuletzt auch an der Moderatorin, die von sich sagte, dass sie keine Ahnung von dem Thema hat. Ich meine Moderatoren sollten schon ein bisschen von dem Thema verstehen, wenn sie eine Diskussion dazu moderieren. Nach der Hälfte der Zeit reichte es mir und der geplante Biergartenbesuch in Spandau konnte es früher beginne als geplant.

Auch mein erster Vortrag war der von Tomas Caspers, der übrigens an der Seite www.einfach-fuer-alle.de/ mitgearbeitet hat und Barrierefreiheit nicht nur in der historischen Entwicklung referierte, sondern eben auch in der alltäglichen Anwendung für Webseiten und Mobilgeräte propagiert und überdenkt. Sehr eindrücklich, wenn er den Zuhörern vor Augen führt, dass ein schlechtes Web- oder Interfacedesign für mobile Endgeräte ein solches ist, das man im Zug oder der S-Bahn nicht mehr bedienen kann, weil die Buttons zu klein sind und die Finger im Zweifelsfall immer zu groß (Wurstfingersyndrom).


Am Nachmittag habe ich mich nochin einen Workshop gestürzt: Content Strategy für NGOs - Webinhalte erst strategisch planen, dann publizieren. Die workshop-Stages im ersten Stock der Station waren leider akustisch eine Zumutung. Nur durch ca. 2 m hohe Wände aus Pappkartons getrennt und jeweils mit einer Mikrofonanlage ausgestattet, dazu noch überfüllt, so konnte ich mich jedenfalls nicht konzentrieren. Das Panel bestand zuerst aus einem Vortrag zum Thema, der jetzt aber keine besonderen neuen Erkenntnisse brachte. Der übliche Workflow beim Erstellen von Inhalten, wie er nicht nur für’s Internet gilt und unter anderem auch viel mit Arbeitsorganisation zu tun hat. Die anschließende Diskussion war mir dann zu anstrengend und hat mich auch nicht weiter gebracht. Mich zog es daher mehr in die heimatlichen Gefielde, wo im Brauhaus Spandau ein frischer Maibock und ein “Spandauer Zipfel” auf mich warteten - begleitet vom Kollegen und Kolleginnen.

Am zweiten Tag war mein Kalender dann deutlich voller. Es gab soviele interessante Beiträge, dass ich mich das eine oder andere Mal hätte zwei- oder dreiteilen können, um nichts zu verpassen.


Zum Einstieg ging ich um 10:30 Uhr zu Catherine Barbas Vortrag “10 tips to grow your Positive Entrepreneurial Energy”. Hatte was von diesen Motivations-Seminaren, war aber recht kurzweilig. Ernster wurde es dann anschließend bei Johannes Kleske der “Das Ende der Arbeit” (“Wenn Maschinen uns ersetzen”) verkündete. Im Kern ging es darum, dass Maschinen mittlerweile mehr Arbeit übernehmen als wir neue schaffen können und welche Probleme damit in Zukunft auf uns zukommen können. Vor allem weil die übernommenen Arbeiten immer anspruchsvoller werden und damit Berufe bedrohen, die heute noch sicher zu sein scheinen, wie z.B. Ärzte oder Rechtsanwälte.


Quasi fortgesetzt wurde das Thema im Anschluss von Trebor Scholz mit “Digital Labor: New Opportunities, Old Inequalities”


Ein sehr spannendes Thema beleuchtete nach der Mittagspause dann Henning Tillmann mit “Browser Fingerprinting: Tracking ohne Spuren zu hinterlassen”. Dabei geht es darum einen User eindeutig zu identifizieren ohne Cookies zu verwenden. Möglich mach dies die Auswertung von Informationen, die jeder Browser beim Aufruf einer Webseite an den Server sendet und die zusätzliche Abfrage von Systemeinstellung z.B. via JavaScript. Die so erhaltenen Werte, z.B. Browserversion, Desktop-Hintergrund, installierte Plugins und Schriftarten, Bildschirmauflösung ergeben in der Kombination ein erstaunlich eindeutiges Profil anhand dessen man einen User wiedererkennen kann. Das war schon etwas unheimlich.


Nach all den vielen Problemen ging es dann im nächsten Vortrag entspannter zu. Kerstin Tackmann, Christoph Wissing, Kerstin Borras, Henning Krause referierten in dem Vortrag “Faszination Grundlagenforschung – Das Higgs, Big Data und die Teilchenphysik” über ihre Arbeit am Teilchenbeschleuniger des CERN in Genf und die spannenden Entdeckungen, die dort in jüngster Zeit gemacht wurden und unser Weltbild wieder einmal ein bisschen korrigieren.


Von der Grundlagenforschung ging es dann wieder zurück in die Praxis: Gaby Becker, Martina Rüdiger und Renate Hermanns berichteten unter dem Titel “Rückt mal ein Stück! Die Androidinnen kommen!” über ein Projekt des webgrrls e.V. [Link zu webgrrls.de einfügen], bei dem Teilnehmerinnen des Frauen-Netzwerkes gemeinsam eine Android-App im Rahmen mehrerer Workshops programmiert haben. Die App zeigt kommende Veranstaltungen der webgrrls auf dem Smartphone und kann im Google App-Store heruntergeladen werden.


Zum Abschluss des Tages ging es dann noch einmal zu den Sternen. Karsten Becker, Robert Böhme (“Hell Yeah, it's Rocket Science! - pushing private space exploration with 30 Million US Dollars”) warben für ein Projekt, das das erste private Raumfahrzeug auf dem Mond landen will. Ziel ist der Gewinn des Google Lunar XPRIZE, den Google mit bis zu 30 Mill. US-Dollar dotiert hat und für das private Team bereit hält, welches das erste Fahrzeug auf dem Mond landet, das mindestens 500 m fährt und dabei ein HD-Video zur Erde überträgt. Ich drücke die Daumen!

Mein zweiter Tag stand völlig unter dem Stern des Androidinnen-Vortrags, an dem ich als Speaker teilhaben durfte. Während die Kolleginnen über ihren Workshop sprachen, stellte ich die webgrrls vor. Am Vormittag aber gaben wir schon ein Interview für Spreerunde, das Spaß gemacht hat.



Um auch mal etwas große weite Welt-Luft zu schnuppern, besuchte ich am frühen Nachmittag Dieter Zetsche. Nicht zuhause zum Kaffee, sondern im großen Saal, dem Stage 1, wo der Daimler-Chef allerlei über seinen Blick auf zukünftige Automobilität verriet. Wer hätte es gedacht, alle anderen sind irgendwie blöd, aber Daimler ist super-innovativ und auf einem sagenhaft tollen Weg, den der Konzern sich auch noch selbst bereitet. Naja.


Zur Einstimmung auf unseren Vortrag ging es dann zum Vortrag “Vernetzte Mobilität- Erobert das Digitale die analoge Welt” von Alexander Mankowsky. War es die eigene Nervosität oder der Vortrag - es ist irgendwie nichts davon hängen geblieben. Mehr weiß ich vom Vortrag nach unserem, den drei junge Frauen aus Leipzig gehalten haben: “Weibliche Programmierer-Netzwerke”. Und siehe da, auch junge Frauen haben das Bedürfnis, sich technischen Themen in rein weiblichen Gruppen anzunähern. Die Erfahrungen der alten Häsinnen, dass Männer beim Lernen in angeblich männlichen Themenbereichen hinderlich sein können, machen also auch die jungen Häschen. Tapfer haben die drei berichtet, von kleinen Schritten und großen Gefühlen und von der Befriedigung, das erste Selbstprogrammierte zu sehen. Der Abend klang aus in größerer webgrrls- und webgrrls-Sympathiesantenrunde am Fuß des Kreuzbergs.

Der dritte Tag begann dann mit wenig erbaulichen juristischen Themen. Jeanette Hofmann,  Christian Katzenbach referierten über Urheberrechtsfragen und -problem (“Im Schatten des Rechts - Wie informelle Normen das Urheberrecht unterlaufen oder auch auf den Kopf stellen”) und gleich danach ging es weiter mit “Netzkultur vs Urheberrecht” (Referenten: René Walter, Ronny Kraak, Valie Djordjevic). Beide Sessions zeigten die anhaltende Notwendigkeit über eine grundlegende Reform des Urheberrechts zu diskustieren, das in dieser Form wohl einfach nicht mehr zeitgemäß ist und bestenfalls dubiosen Geschäftsmodellen der Abmahnbranche von Nutzen ist.


Zum Abschluss gab es dann noch einen Vortrag über Speculative Design (von Lisa Ma). Dabei geht es darum komplexe Zukunftsthemen in anschauliche Szenarien (“Designs”) zu verpacken. [Ehrlich gesagt hab ich nicht so ganz verstanden, was sie eigentlich sagen wollte und was dieses speculative Design letztendlich sein soll. Da war wohl der Kopf schon zu voll ;-)]


Gegen Mittag des dritten Tages war dann Feierabend. Das eine oder andere Thema hätte mich zwar noch interessiert, aber meine Aufnahmekapazität war erschöpft, wie ich bei dem letzten Vortrag schon merken musste.

Ich hatte ja Montagmorgen schon das ungute Gefühl, dass meine Aufnahmekapazität absolut unzureichend sein würde - ja, irgendwie hätte ich mehr mitbekommen, dieses Mal hatte ich aber auch darauf geachtet, nicht alleine durch die Veranstaltungen zu schlurfen, sondern Kontakt zu halten mit Menschen, die ich aus unterschiedlichen Netzwerken kenne.


Trotzdem habe ich den Mittwochvormittag noch einmal voll ausgenutzt und mich ins #themengebiet “Lernen” gestürzt. Zu Lisa Rosas Vortrag Lernen, lernen, lernen im persönlichen Lernnetzwerk kam ich ein paar Minuten zu spät. Sehr schade, denn jede Minute, die ich noch hören durfte, hat sich gelohnt. Eine sehr engagierte Lehrerin, die dem Lehren und Lernen neue Impulse geben möchte. Genauso wie Jörn Muus-Meerholz, der erklärte, warum die Digitale Revolution des Lernens seiner Meinung nach (bisher) gescheitert ist. Ein sehr witziger, persönlicher und schwungvoller Beitrag, der auch nachdenklich gemacht hat. Danach folgten im selben Stream einige Kurzbeiträge zum Lernen, die mal mehr, mal weniger interessant waren, aber das vorher Gehörte noch einmal mit selbst Erlebtem unterstrichen und ergänzten.

Fazit: Es hat sich gelohnt. Die re:publica ist wieder ein Stück professioneller geworden. Leider auch ein Stück kommerzieller. Bei dem einen oder anderen Vortrag war mir doch ein bisschen zuviel Eigenwerbung dabei. Immerhin sind die Sponsoren nicht nur kommerzielle Firmen sondern auch Einrichtungen wie die Aktion Mensch, GIZ, Deutsche Welle oder der WWF. Es gab viele interessante Vorträge und Diskussionen, so dass eine breites Spektrum an “Internet-Themen” abgedeckt wurde.

Das Fazit des Kollegen was die Kommerzialisierung anbelangt, kann ich so unterstützen. Was für mich dieses Mal noch wichtig war, war der Kontakt und das (Wieder-)Treffen mit Netzwerkkontakten aus unterschiedlichen Kontexten. Der Kollege hat schon angedeutet, dass er nicht weiß, ob er bei der nächsten re:publica wieder dabei sein wird, auch wegen der langen Anreise und dem Aufwand. Ich persönlich denke, da ich ja in Berlin lebe, dass ich wieder dabei sein werde. Dass die Gesellschaft sich im digitalen Umbruch befindet, wird nirgends so bunt diskutiert wie dort, und nirgends so spannend.

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